Von der Kunst zu (über)leben

28. April 2015

Von der Kunst zu (über)leben

Lange Jahre hatten Flüchtlinge kein Gesicht in unseren Köpfen und in unseren Lebensräumen. Das hat sich nach vielen Aktionen der Solidarität vor allem durch globale Wirklichkeiten geändert – nicht zuletzt seitdem immer mehr Asylsuchende vor Ort in den Kommunen „sichtbar“ untergebracht werden.

Wer sind diese Menschen? Welche Schicksale ereilten sie, dass sie die eigene Heimat notgedrungen verließen? Wie stellen sie sich ein Leben hier vor?

Die Antworten auf diese Fragen sind vielfältig, so individuell wie jede einzelne Person, die man fragt. Eines ist ihnen sicher gemein: dass die Sicherheit, der Schutz, die Würde, das Leben des Menschen in Gefahr war und ist.

Ich möchte hier einfach über einen Menschen schreiben, stellvertretend für so viele andere, die eine Geschichte zu erzählen haben. Er hat es auf einem steinigen Weg erreicht, anerkannter Teil dieser Gesellschaft zu werden, wie es auch so viele andere werden könnten – wenn man es ihnen auch ermöglichte, sie ließe.

Dieser Mann ist jemand, der wie viele andere auf der Straße an uns vorbei läuft. Der erst dann mit dem Begriff „Asylbewerber“ etikettiert wird, wenn man ihn eben in dieser Eigenschaft kennt. Er ist aber auch Vater, er ist Sohn, Pfeife-Raucher, Lebensgefährte, geduldiger Zuhörer, er ist Künstler.

Wer ihm begegnet, spürt Bescheidenheit und Demut vor der Kunst, der Kultur, vor der menschlichen Würde. Für ihn hängt all dies miteinander zusammen. Er strahlt eine Ruhe aus, eine Ausgeglichenheit, auch wenn das Gegenteilige innerlich und äußerlich in den letzten Jahren sein unabschüttelbarer Begleiter gewesen ist. Als er nicht wusste, ob er in Würzburg und Deutschland bleiben kann oder nicht. Es hat ihn innerlich fast aufgefressen.

Maneis Arbab lebte seit 2009 bis vor kurzem als Flüchtling in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft. In seiner Heimat Iran lebte und arbeitete er als Hochschullehrer und Werbegraphiker und illustrierte Lehrbücher im Auftrag des Ministeriums für Bildung und Erziehung. Eines Tages bekam er deutliche Signale von den iranischen Machthabern – und musste wegen so genannter regimekritischer Äußerungen aus seiner Heimat flüchten.

Bevor dies in sein Leben dramatisch einschnitt, stellte Arbab seine Arbeit international aus, neben dem heimatlichen Iran auch in den USA und in Griechenland. Nach seiner Flucht 2009 vor der Verfolgung durch das iranische Regime interessierten sich auch hierzulande Viele für Arbabs Kunst und deren Aussage: nicht zuletzt in Zirndorf und in Unterfranken, zahlreich in Stadt und Landkreis Würzburg. Unermüdlich war sein persönlicher Einsatz aus reinem Idealismus und aus dem Drang heraus, sich auszudrücken und seine Gabe zu nutzen – auch für andere Menschen, die es nicht können.

Dies alles bekam ich hautnah mit, als ich mit Arbab 2012 eine mehrwöchige Ausstellung organisierte. Arbabs Karikaturen, mit wenigen Pinselstrichen Bollwerke der politisch und humanitär motivierten Kritik, gewähren Einblicke in seine Gedankenwelt. Sie verleiten zum Schmunzeln oder Lachen. Sie treffen auf den Punkt. Danach bleibt das Lachen im Halse stecken bleibt oder es erstummt, sobald man hinter der scheinbar lustigen Fassade den tatsächlichen Hintergrund erfasst hat.

Maneis Arbabs Vorstellungen von Demokratie und Freiheit, seine Meinung über nicht-demokratische Regime und die Instrumentalisierung von Religion, das alles aber auch vor dem Hintergrund der Einstellungen und Ereignisse hierzulande – bereichern unseren Horizont als Empfängerinnen und Empfänger seiner Botschaften. Schein und Sein, mit unterschiedlichen Schattierungen von Wahrheit in Politik, in Religion, im alltäglichen Leben.

Denn ihn beschäftigt auch, wie es um die so genannte Freiheit auf dem Feld der Demokratie steht – er schlägt globale Bögen, aber auch bis zu unserem kleinen Würzburg, konkreter gesprochen: bis in Orte wie die Gemeinschaftsunterkunft, in der Hunderte Asylsuchende aus vielen Staaten dieser Welt leben, die von unterschiedlichen Begrifflichkeiten der Freiheit, der Solidarität, der Sicherheit, der Menschenwürde und der Menschenrechte sprechen könnten.

Kann ein Anliegen aktueller und treffender sein, mehr den humanitären Puls der Zeit treffen? Ein Anliegen, das uns noch viele Jahre beschäftigen muss und wird. Beiträge wie der von Maneis Arbab können mit bestimmen, inwiefern und von welchem Gedankengut und Weitblick getragen wir dies tun. Denn er wird zu einem Sprachrohr vieler Menschen, die auf der Flucht waren und sind, um die Chance auf ein gerechteres Leben wahrnehmen zu können. Maneis könnte auch Hiwot heißen, Abay, Farid, Fatima, James oder Mina.

Arbab beschämt mich manchmal, wenn er sagt, er sei so dankbar darüber, seine Kunst hier ausleben zu können. Dankbar darüber, dass er seine Meinung frei äußern darf? Ohne Angst vor Bestrafung zu haben? Was leben wir in einer Luxuswelt. Solche Momente ändern meine Sicht auf die Dinge.

Als ich Maneis Arbab letzten Sommer für einen der Kulturförderpreise 2014 vorgeschlagen hatte, war ich mir nicht sicher, wie aussichtsreich dies sein würde. Wäre es doch mehr als eine deutliche politische Positionierung einer Kommune, mit einem städtischen Preis eine Person zu bedenken, deren Aufenthaltsstatus zu dem Zeitpunkt noch vollkommen ungeklärt war, einer Person, der laut Gesetz verwehrt war, ein vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied unserer Gesellschaft mit allen Pflichten und Rechten zu sein – auch wenn Maneis von vielen Menschen natürlich längst, wenn nicht von Anfang an, genauso empfunden wurde.

Maneis Arbab hat die Auszeichnung erhalten. Ein starkes Zeichen für Anerkennung und gegen konventionelles Denken. Das hat mich stolz auf unsere Stadt Würzburg gemacht. Eine Stadt erkennt an, was ein Mensch ihr und der Gemeinschaft gibt, und möchte auch zurückgeben, trotz widriger Umstände, und nimmt einen Menschen so auch symbolisch vor der Öffentlichkeit in seine Mitte auf. Ein Zeichen der Anerkennung dafür, wie wichtig es ist, die Stimme zu erheben, wenn es Ungerechtigkeit gibt, wenn Menschen benachteiligt, wenn sie unterdrückt werden – und ihnen die eigene Stimme zu leihen. Auch und gerade auf eigene Gefahr.

Maneis‘ eingangs angedeuteten widrigen Umstände in Würzburg haben sich mittlerweile zu einem bedeutenden Teil aufgelöst. Er ist seit wenigen Monaten nach einem fünfjährigen Kampf mit sehr strapaziösen Aufs und Abs jetzt anerkannter Flüchtling. Er lebt seit einiger Zeit in einer kleinen Wohnung, hat seinen eigenen Rückzugsort gewonnen, der ihm gefehlt hatte, um Mensch zu sein, um kreativ zu sein, vor allem um einmal zu sich kommen zu können. Ein Mangel, den er mit vielen weiteren Menschen zuvor geteilt hat.

Es gibt Momente, da kommt Maneis Arbab mir wie ein Mensch vor, der träumt, der nicht immer ganz in der Realität weilt. Unsere Stadt, unsere Gesellschaft und unsere Seelen brauchen auch Träumer, die das Ideal denken und malen, um ihm so nah wie möglich zu kommen. Danke, Maneis.

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